Der Krieg in der Ukraine, ausgelöst durch den russischen Überfall, legt für mich folgende Gedanken nahe:
1) Atomkraft ist nicht sicher. Schon zu Friedenszeiten gibt es ein untragbar großes Risiko, dass durch “dumme Zufälle” ein AKW explodiert, durchschmilzt, o.ä.
Im Krieg steigt dieses Risiko dramatisch an; wie leicht kann eine fehlgeleitete Rakete oder ein missglückter Schuss einer Granate das AKW versehentlich beschädigen, auch wenn wie bislang in der Ukraine beiden Seiten offenbar ein Interesse daran haben, die Sicherheit der Atomanlagen zu gewährleisten.
Dennoch besteht ein ernstzunehmendes Risiko, dass die Spirale aus Drohungen aus dem Ruder läuft, und einzelne Akteure, Soldaten, Partisanen oder überfordertes Reaktorpersonal Fehler mit katastrophalen Folgen machen. Bekanntlich zerstört der Angreifer bewusst die Infrastruktur des Feindes, um dessen Nachschub und auch dessen Reparatur von Kriegsgerät und die Rüstungsproduktion zu unterbinden. Dabei kann es leicht geschehen, dass unverhofft auch Reaktoren vom Stromnetz oder von der Versorgung mit Kühlwasser abgeschnitten werden.
Selbst wenn es noch gelingt, einen beschädigten oder seiner Infrastruktur beraubten Reaktor kontrolliert herunterzufahren, muss der Reaktorkern und das Abklingbecken mit gebrauchten Brennelementen für viele Wochen ununterbrochen aktiv gekühlt werden, sonst droht auch im abgeschalteten AKW eine Kernschmelze, die nach wenigen Stunden bis Tagen unkontrollierbar wird. Wie real dieses Szenario ist, musste die Welt 2011 in Fukushima zur Kenntnis nehmen. Erdbeben und Tsunami hatten die Reaktoren selbst weitgehend unbeschadet überstanden, die sofort heruntergefahren wurden. Nur war die Stromversorgung und damit die Kühlung lange genug unterbrochen, sodass die unvermeidliche Nachzerfallswärme in den Brennelementen zur Katastrophe führte. Wir müssen also hoffen und beten, dass die ukrainischen AKW (Chmelnyzkyj, Riwne, Saporischschja, Süd-Ukraine) bei Kriegbeginn abgeschaltet wurden. Auch wenn die Nachzerfallswärme noch viele Monate prinzipiell stark genug ist, um den Reaktor zu zerstören, vergrößert sich das Zeitfenster, in dem die Kühlung wieder hergestellt und die Kernschmelze verhindert werden kann. Direkt nach dem Erlöschen der Kettenreaktion schmilzt ein ungekühlter Reaktor nach knapp 2 Stunden. Einen Monat nach dem Abschalten hat man rund 2 Tage lang die Chance, die Kühlung wieder herzustellen, bevor eine unbeherrschbare Kernschmelze eintritt. Ein paar Tage klingt nach viel Zeit. Mit den Zerstörungen nach den russischen Angriffen vor Augen scheint es zumindest fraglich, ob die Versorgung mit Strom und Kühlwasser schnell genug gesichert werden kann.
Leider steht zu befürchten, dass Krieg auf weitere Länder übergreift. Daher müssten auch die AKW in den anderen europäischen Ländern, Tschechien, Slowakei, Deutschland und Schweden sofort abgeschaltet werden.
Ganz unabhängig von den beispiellosen Sicherheitsrisiken der AKWs stellen sie eine sehr teure Möglichkeit dar, uns mit Energie zu versorgen. Um in Hinkley Point ein neues AKW zu planen, musste die englische Regierung eine Einspeisevergütung von über 11 Ct/kWh anbieten, die zudem über 30 Jahre garantiert wird. Die beiden aktuellen neuen AKW-Projekte in der EU stellen ebenso ein Trauerspiel dar: – Olkiluoto in Finnland wurde 3x mal so teuer wie ursprünglich zum Fixpreis von 3Mrd. Euro angeboten. Die Bauzeit verlängerte sich von den projektierten 6 Jahren auf inzwischen 17 Jahre. Inzwischen läuft der Reaktor, allerdings nur im Testbetrieb und soll ab dem Sommer 2022 regulär Strom liefern. Wenn nicht wieder etwas dazwischenkommt … – Flamanville in Frankreich sollte ursprünglich 3,3 Mrd. Euro kosten; inzwischen geht der zukünftige Betreiber von Baukosten in Höhe von 12,7 Mrd. Euro, der französische Rechnungshof rechnet sogar mit 19,1 Mrd. Euro Gesamtkosten für das Projekt; der erzeugte Strom würde danach 11 – 12 Ct/kWh kosten. Die Inbetriebnahme wurde im Januar 2022 zum wiederholten Mal verschoben, und soll nun im 2. Quartal 2023 stattfinden. Wer weiß, wann’s wirklich so weit ist … Zum Vergleich: Aktuell wird der “teure” Fotovoltaik-Strom in Deutschland mit 6,52 Ct/kWh vergütet. Für die Dunkelflaute brauchen wir Stromspeicher. Batteriespeicher kosten ca. 15 Ct/kWh, großtechnisch können Pumpspeicherkraftwerke den Strom viel preiswerter speichern. Daher scheint es mir mehr als realistisch, dass Strom aus Sonne und Windkraft inklusive der nötigen Stromspeicher preisgünstiger zu haben ist, als Strom aus neu zu bauenden AKW. Noch ein Vergleich: PV Anlagen und Windkraft kann man jederzeit völlig gefahrlos von einer Sekunde auf die nächste abregeln und bei Bedarf sofort wieder ans Netz nehmen. AKWs können nur stur durchlaufen, egal ob oder wie viel Strom gerade gebraucht wird. Insbesondere nach einer Schnellabschaltung dauert es viele Tage, bis der Reaktor “sicher” wieder den normalen Leistungsbetrieb erreicht. Flexibel und sicher planbar ist in meinen Augen anders als jetzt Gas geben, damit ich 2 Wochen volle Leistung bekomme, egal ob ich sie dann brauche oder nicht.
2) Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland.
Ich finde es schlicht beschämend, dass wir weiterhin unseren Energiehunger mit Öl und Gas aus Russland stillen, und damit dem aktuellen Schlächter Europas die Kriegskasse täglich neu füllen. Die Menschen in der Ukraine kämpfen ums nackte Überleben, auf der Flucht oder im Kampf, und unsere Solidarität reicht nicht mal so weit, harte Einschnitte wie ein Tempolimit oder eine um wenige Grad reduzierte Raumheizung zu akzeptieren. Langfristig müssen wir unsere Energieversorgung ohnehin CO₂-neutral aufstellen, um die Klimaziele des Pariser Abkommens einzuhalten. Nun rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit gleich doppelt: Die deutsche Politik setzt seit Jahren bei der Energieversorgung nur auf billig-billig-billig, und das auch nur bei kurzsichtiger Betrachtungsweise, denn die Kosten, die in den letzten Jahren scheinbar eingespart wurden, weil die Energiewende als unpopulär teuer galt, fallen uns doppelt und dreifach auf die Füße, wenn nun der Klimawandel zuschlägt. Allerdings verdienen an den fossilen Energieträgern andere als die jetzt und in Zukunft, die Schäden durch den Klimawandel erleiden. Die Rezepte sind bekannt, was getan werden muss, um den Klimakollaps erträglich zu halten:
der Energieverbrauch muss sinken durch Suffizienz, d.h. Energie soll nur noch eingesetzt werden, wo es wirklich nötig ist. Es ist paradox, mit dem Auto in die Firma zu fahren, dann den Aufzug ins Büro zu nehmen – und um fit zu bleiben, nach Feierabend auf dem Heimtrainer zu trainieren.
Produkte müssen langlebig sein, um Energieverbrauch bei der Erzeugung und Umweltbelastung bei der Entsorgung zu minimieren.
Der nächste Punkt ist Effizienz, d.h. die Dienstleistungen für den Energieeinsatz wirklich nötig ist (z.B. Brot backen, Beleuchtung, etc), sollen energetisch optimiert werden, dass mit minimal möglichem Energieverbrauch die erforderliche Dienstleistung erbracht werden kann. Konkret heißt das kleine sparsame Elektrofahrzeug für die letzte Meile, Bus und Bahn für die langen Strecken, LED statt Glühbirne, gut gedämmte Passivhäuser, in denen die Abwärme der BewohnerInnen und der Geräte praktisch als Heizung ausreicht, etc.
Auf diese Weise sollte es möglich sein, mit 25 % des aktuellen Verbrauchs an Energie unser Leben in nahezu gewohnter Weise zu bestreiten. Dieses verbleibende Viertel an Energie kann dann leicht durch erneuerbare Energiequellen gedeckt werden: Sonnenenergie sorgt für Wärme und Strom, Wind- und Wasserkraft erzeugen Strom, Biomasse ist leicht zu speichern und deckt die Spitzenlast. Zusätzlich wird Strom in Batterien und Pumpspeicherkraftwerken für die berühmte Dunkelflaute gespeichert.
Natürlich kostet die Energiewende viel Geld. Allerdings ist es eine Lüge, dass ein “weiter so” mit Kohle und Atom auf lange Sicht kostengünstiger wäre. Zudem bleiben die unkalkulierbaren Risiken der nuklearen Verseuchung und der Klimakatastrophe; um es kurz zu sagen: Die Energiewende wird Geld kosten. Der Verzicht auf die Energiewende wird noch teurer: “Weiter so” kostet uns das Leben.