Fukushima, Tschernobyl und wir
Artikel im Wiesbadener Kurier
Eine Ausstellung in 15 Plakaten zu Fakten und Folgen der beiden schlimmsten Reaktorunfälle bisher
Überall wo Atomkraftwerke stehen, ist eine Kernschmelze jederzeit möglich. Wer weiter auf Atomkraft setzt, muss Fukushima und Tschernobyl vergessen und dieses Atomrisiko verdrängen. Am Jahrestag, Donnerstag, den 26.04.2018 auf dem Dr.-Peter-Nikolaus-Platz mit einer Mahnwache und Plakatausstellung hielten wir dagegen.
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Die Ausstellung erzählt von den hunderttausenden Aufräumarbeiter*innen, deren Leben und Gesundheit Tschernobyl ruiniert hat, ebenso wie von den kranken und heimatlosen Kindern aus Fukushima. Sie zeigt, wie 1986 der radioaktive Fallout über ganz Europa niederging (und bis heute strahlt) und wie Japan heute vergeblich versucht, den durch den Super-GAU von Fukushima kontaminierten Boden flächendeckend abzutragen.
Ansprache auf der Mahnwache von Dr. Jens Garleff
Ich habe die Aufgabe übernommen, eine Ansprache zu diesem traurigen Anlass zu halten. Bei der Vorbereitung stieß ich auf das Problem, dass über den Tschernobyl-Unfall schon alles gesagt ist:
– riesige Gebiete von rund der Fläche des Rhein-Main-Gebiets sind in der Ukraine und in Weissrussland verstrahlt und unbewohnbar. Etwa nochmal die doppelte Fläche ist so stark radioaktiv belastet, dass dort keine Land- und Forstwirtschaft mehr betrieben wird, weil die Produkte unverkäuflich wären.
– viele Menschen sind an der Strahlung gestorben und sterben noch heute. Je nach Quelle und Intention desjenigen der die Information verbreitet varieren die Schätzungen von einigen Hundert Toten, bis hin zu Millionen Toten bzw. Kindern die nie geboren wurden.
– erhöhte Krebsraten, Immunschwäche und psychische Probleme unter den Menschen, die von der Strahlung betroffen sind, und unter denen die evakuiert wurden und ihre Heimat für immer verloren haben.
– gewaltige Kosten zur Bewältigung der Folgen wie Aufräumarbeiten, Gesundheitskosten, Entschädigungen, etc. Die Ukraine wendet seit 86 zunächst jährlich zwsichen 25% (direkt nach der Katastrophe) und 5% (im Jahr 2018) auf. Selbst im Tausende Kilometer entfernten Deutschland sind allein für entschädigungen für Landwirte und Jäger bis heute ca. 300 Mio. Euro gezahlt worden. Weiterhin sind Pilze und Wild aus dem Wald gebeitsweise so stark belastet, dass sie nicht verkauft werden dürfen.
Diese Fakten sind im groben bekannt und unstrittig. Im Detail bleiben die Angaben vage, weil viele betroffene Länder kein Interesse daran haben, sie exakt zu erheben. Dies aus 2 Gründen: für Schäden die nicht als Tschernobylfolgen anerkannt sind, bezahlen z.B. die Regierungen von Weissrussland, der Ukraine und Russlands keine Entschädigung an die Betroffenen. Internationale Fachorganisationen wie die IAEO verharmlosen die Folgen von Tschernobyl aus Sorge um das Image der Atomkraft in der öffentlichen Meinung.
Bis hierher hätte ich gleiche Ansprache auch zum Tschernobyl-Jahrestag letztes Jahr, vorletztes Jahr oder vor 5 Jahren halten können. Zunächst hat mir das einiges Kopfzerbrechen bereitet, denn jeder Redner präsentiert Ihnen gern etwas Neues, Spannendes. Dan wurde mir klar, dass genau dieser Mangel an Neuigkeitswert in der Natur von Atomkatastrophen liegt:
Radionuklide haben Halbwertszeiten von Jahrzehnten bis Jahrtausenden. Verglichen mit der Lebenszeit des Menschen sind schon die 30 Jahre des zügig zerfallenden Cäsium lang, und die knapp 90 Jahre von Plutonium 238 mehr als ein Menschenalter.
Zudem ist nach der Halbwertszeit noch immer die Hälfte des Ausgangsmaterials vorhanden, aund die Zerfallsprodukte mit ebenfalls langen Halbwertszeiten sind oft ebenso gefährlich wie das Ausgangsmaterial. Damit sinkt die Belastung erst im Laufe von Jahrhunderten auf ein erträgliches Niveau. Nach menschlicher Skala hält damit jede atomare Verseuchung ewig an.
Ich sehe zwei Möglichkeiten mit diesem Sachverhalt umzugehen:
Möglichkeit 1:
Der Mensch lebt mit der Verseuchung, wie in der Sperrzone von Tschernobyl die Tiere und Pflanzen tun; das Leben ist zäh und die Geschöpfe sind schier unbegrenzt leidensfähig. Allerdings müssten sich die Menschen damit abfinden, dass die Lebenserwartung gerade land genug bleibt um Nachkommen in die Welt zu setzen, und dass die Menschen zudem viele Kinder zeugen müssten mit der unausweichlichen Aussicht, dass viele davon missgebildet oder krank sind, und man diese Ausfälle durch mehr Kinder ausgleicht, um dennoch die Art zu erhalten. Ob die Wildschweine, Wölfe, Eichhörnchen und Vögel in der Sperrzone darüber traurig sind dass sie genau so ihre Art auch in der versuchten Zone aufrechterhalten , weiß ich nicht. Fakt ist, dass sie es tun: Die Sperrzone ist ein riesiges Naturschutzgebiet, in dem die Evolution unbeirrt fortschreitet.
So weit alles gut. D.h. weiter so?
Mir ist Möglichkeit 2 sympathischer:
Sparen wir uns dieses Horrorszenario. Steigen wir sofort aus der unkontrollierbaren Atomkraft aus.
Denn es gibt Alternativen:
Wind – Sonne – Wasser – Speicher – Effizienz
Die Technik steht bereit und ist ist Vergleich zur Atomkraft völlig ungefährlich und absolut bezahlbar.
Für mich ist die Erinnerung an Tschernobyl und der Respekt vor der Opfern und Geschädigten ein immerwährender Ansporn, mich für die Energiewende hin zu einem dezentralen, erneuerbaren und effizienten Energiesystem einzusetzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Zum Gedenken an die Opfer bitte ich Sie um eine Schweigeminute.